
Disziplin, Eleganz, Ausdauer, Leichtigkeit, Präzision und Harmonie zeichnen die älteste Kulturpferderasse Europas, den Lipizzaner, aus.
Lipizzaner zeichnen sich durch einen vollendeten, edel geformten Körperbau, graziöse Bewegungen, Lerneifer, Lebhaftigkeit, Gutmütigkeit, Mut, Härte und Ausdauer aus. Der wohlgeformte Kopf des Lipizzaners kann fallweise eine Ramsnase aufweisen. Der Hals ist etwas höher aufgesetzt und wird edel getragen. Der kräftige, muskulöse Rücken läuft in einer sehr starken Kruppe aus.
Das Erscheinungsbild entspricht dem des barocken Prunk- und Paradepferdes, wobei der Rahmen des Gebäudes eher einem Rechteck ähnlich ist. Der gut angesetzte Schweif ist dicht und von feinem Haar. Die Gliedmaßen trocken und profiliert, verfügen über reine Sprunggelenke und schön geformte Hufe.
Erfahren Sie hier wissenswerte Informationen und unterhaltsame Anekdoten über die weltberühmten Weißen Pferde.
Lipizzanerzucht
Die Lipizzanerzucht: nationales, immaterielles Kulturerbe der Menschheit
Mit der Lipizzanerzucht in Piber sichern wir nicht nur den Fortbestand der Lipizzanerhengste der Spanischen Hofreitschule sondern tragen auch zum Erhalt der ältesten Kulturpferderasse Europas bei. Im Jahr 2016 wurde diese verantwortungsvolle Aufgabe schließlich seitens der UNESCO auch zum nationalen, immateriellen Kulturerbe ernannt, 2022 im Rahmen einer multinationalen Einreichung auch zum Kulturerbe der Menschheit.
Die heutige Lipizzanerzucht des Gestüts in Piber geht auf die bereits im 18. Jahrhundert existenten sechs Hengststämme und 17 klassischen Stutenfamilien der Lipizzaner zurück.
Damals waren die "Lipizzaner" noch kunterbunt: Braune, Füchse, Falben, Isabellen, Platten, Tigerschecken oder Rappen - aber kein einziger war damals weiß. Die weiße Farbe, die Schimmelfarbe, setzte sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts / im 19. Jahrhundert durch und blieb bis heute erhalten. Diese Farbe wurde aus Geschmacksgründen züchterisch bevorzugt. Zudem hat sich das weiße Haar des Arabers erbmäßig als dominant erwiesen, sodass heute nur noch in ganz seltenen Fällen das dunkle (v.a. braune) Haarkleid erhalten bleibt. Es gehört allerdings zur Tradition der Spanischen Hofreitschule Wien, dass immer mindestens ein brauner Lipizzaner in den Stallungen der Hofreitschule zu finden ist. Sie gelten als Glücksbringer.
Die Hengststämme
Weltweit gibt es 8 Hengststämme. Wir züchten mit 6 Hengstlinien:
- Pluto (Schimmel), geboren 1765 rein spanischer Abstammung, aus dem königlich–dänischen Hofgestüt Fredriksborg
- Conversano (Rappe), geboren 1767 original Neapolitano
- Neapolitano (Braun), geboren 1790 Neapolitano aus Polesina
- Favory (Falbe), geboren 1779 aus dem Hofgestüt Kladrub
- Maestoso (Schimmel), geboren 1773 aus dem Hofgestüt Kladrub
- Siglavy (Schimmel), geboren 1810 original Araber, von Fürst Schwarzenberg aus Arabien importiert
Die Stutfamilien
Im Lipizzanergestüt Piber wird mit allen 17 klassischen Stutenfamilien gezüchtet. Damit ist das Lipizzanergestüt Piber weltweit das einzige Gestüt, das über Stuten aus allen klassischen Lipizzaner Stutfamilien verfügt. Die Stammmütter dieser Stutfamilien wurden im 18. Jahrhundert geboren und bildeten die Basis des kaiserlichen Gestütes. Deren Nachkommen lassen sich lückenlos bis zur jeweiligen Familienbegründerin zurückverfolgen.
- Sardinia Sardinia. Lipizza 1776
- Spadiglia Spadiglia, Lipizza 1778
- Argentina Argentina, Lipizza 1767
- Africa Africa, Kladrub 1747
- Almerina Almerina, Kladrub 1769
- Presciana - Bradamente Presc./Bradm., Kladrub 1782/1777
- Englanderia Englanderia, Kladrub 1773
- Europa Europa, Kladrub 1774
- Stornella - Fistula Fistula, Koptschan 1771
- Ivanka - Famosa Ivanka, Koptschan 1754
- Deflorata Deflorata, Fredriksborg 1767
- Capriola Capriola, Kladrub 1785
- Rava Rava, Kladrub 1755
- Gidrane Gidrane, 1841
- Djebrin Generale Junior, Babolna 1824
- Mercurio Freies Gestüt, Radautz 1806
- Theodorosta Theodorosta, Bukovina 1870
Die Kennzeichen eines Lipizzaners
Stockmaß:
153 bis 158 cm
Aussehen:
edel, mit noblem Ausdruck und rechteckigem bis quadratischem Rahmen
Kopf:
leichter Ramskopf oder leicht arabisierter Kopf mit konvexer Nasenlinie, kräftigen Ganaschen und großen, schwarzen Augen
Wirkung:
mittelgroß, athletisch, elegant
Körperbau:
muskulöse Hinterhand, schräge Fesselung, mittelanger und kräftiger Rücken
Bewegungen:
graziös, federnder Gang, hohe Knieaktion
Fellkleid:
mehr als 90% Schimmel
Interieur:
ausdauernd, genügsam, temperamentvoll, hart, hochsensibel, intelligent, menschenbezogen, kontaktfreudig, gutmütig, gehorsam, gelehrig und leistungsbereit
Entwicklung:
spätreif, überdurchschnittlich langlebig, bis ins hohe Alter zur Zucht und Arbeit unter dem Sattel geeignet
Lebenszyklus der Lipizzaner
Remontenschule, Campagneschule und Hohe Schule
Von der Koppel zur Kapriole
Die Ausbildung der Hengste, die in einem Alter von ungefähr vier Jahren vom Lipizzanergestüt Piber in das Trainingszentrum Heldenberg und nach Wien übersiedeln, erfolgt nach den Lehren der klassischen Reitkunst und ist in ihren Grundzügen nach den Directiven von Exzellenz Holbein und Oberbereiter Franz Meixner gestaltet. Das vorrangige Ziel dieser Ausbildung unterscheidet sich grundsätzlich nicht von jeder anderen Pferdeausbildung und lässt sich mit den Zielen der Geschmeidigkeit, Gehorsamkeit, Durchlässigkeit und Ruhe umreißen.
Die Aufgabe der klassischen Reitkunst ist es, die natürlichen Bewegungsveranlagungen des Pferdes zu studieren und durch systematisches Training in der dem Pferd höchstmöglichen Eleganz der Hohen Schule zu kultivieren. Bei der Ausbildung stehen Mensch und Pferd zu jeder Zeit auf Augenhöhe und das Pferd bestimmt, wann es bereit ist, die nächste Lektion zu erlernen. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist eine unvergleichliche Harmonie zwischen Reiter:in und Hengst, wie sie heute nur mehr in der Spanischen Hofreitschule zu Wien erreicht wird.
Lipizzaner sind für diese Aufgabe besonders geeignet: Sie sind nicht nur genügsam, kräftig und für die klassische Reitkunst besonders begabt, sondern auch überaus gelehrig und verfügen über ein außerordentlich gutes Gedächtnis – alles Eigenschaften, die der Ausbilder kennen und für die gemeinsame Arbeit nutzen muss.
Der Ablauf der Ausbildung
- Die Remontenschule: Im ersten Jahr erfolgt die so genannte Remontenausbildung, das Reiten mit möglichst natürlicher Haltung des Pferdes in nicht versammelten Gangarten auf der Geraden.
- Die Campagneschule: Das Reiten des versammelten Pferdes in allen Gangarten; Wendung und Touren in vollkommenem Gleichgewicht.
- Die Hohe Schule: In dieser Ausbildungsstufe bringen die Bereiter:innen ihr Pferd zur Perfektion. Was nun folgt, richtet sich nach der besonderen Eignung, Begabung, Kraft und Sensibilität des jeweiligen Hengstes und nach dem, was der Hengst anbietet. In höchster Versammlung lernt der Hengst Piaffe, Passage, Galopp-Pirouetten und Galoppwechsel von Sprung zu Sprung.
Es dauert durchschnittlich sechs Jahre bis ein Hengst in der Schulquadrille eingesetzt werden kann und damit seine Ausbildung zum Schulhengst beendet hat. Die berühmten Schulsprünge der „Schulen über der Erde“ – Levade, Courbette und Kapriole – beherrschen nur wenige, besonders talentierte und sensible Hengste.
Nach einer sechs- bis achtjährigen Ausbildung der Lipizzanerhengste ist es endlich so weit: sie sind die Stars und treten in der wohl schönsten Reithalle der Welt auf. In der Winterreithalle der Spanischen Hofreitschule Wien zeigen sie die erlernten Künste und begeistern damit das internationale Publikum.
Ein Lipizzanerleben lang
Von der Geburt bis zum Lebensabend ist das Lipizzanergestüt Piber Heimat und Zuhause für die Lipizzanerstuten. Die Hengste kehren im Laufe ihrer Karriere immer wieder an den Ort ihrer Geburt zurück, bis sie schließlich ihre wohlverdiente Pension antreten und diese in Piber verbringen.
Nach der Geburt bleiben die Fohlen die ersten Monate bei ihren Müttern und wachsen in einer Mutterstutenherde gemeinsam mit anderen Fohlen auf. Nach dem Abspänen im Alter von sechs bis acht Monaten werden die Fohlen in einer Fohlenherde auf einen Außenhof übersiedelt, wo sie weitere sechs Monate verbringen. Im Alter von einem Jahr werden die Stut- und Hengstfohlen schließlich nach Geschlecht getrennt und verbringen die weiteren Jahre den Sommer auf den Almweiden und die Wintermonate auf einem nahe gelegenen Außenhof.
Nach ihrer Kindheit und Jugend im Muttergestüt und auf den Almweiden gelangen alle Lipizzaner, unabhängig vom Geschlecht, zur Musterung. Hierbei beurteilt eine eigene Kommission den Charakter, das Verhalten und den physischen Körperbau der Pferde. All jene, die die Musterung bestehen, starten ihre Ausbildung - die Lipizzanerstuten in Piber, die Lipizzanerhengste im Trainingszentrum Heldenberg bei Wien. Pferde, die nicht selektiert wurden, werden zum Verkauf freigegeben.
Die Stuten absolvieren nach der Musterung eine zweijährige Ausbildung und müssen eine Prüfung unter dem Sattel sowie im Gespannfahren bestehen, um als Zuchtpferd oder für Repräsentationszwecke eingesetzt werden zu können.
Während die Hengste ihren Alltag in der Spanischen Hofreitschule in Wien sowie im Trainingszentrum Heldenberg bei Wien verbringen dürfen, genießen die Lipizzanerzucht- und -repräsentationsstuten ihren Alltag in ihrem Muttergestüt in Piber. Im Alter von 25 bis 30 Jahren treten sowohl Lipizzanerstuten als auch Lipizzanerhengste ihren wohlverdienten Ruhestand am Lipizzanergestüt Piber - in einem eigens dafür vorgesehenen Pensionistenstall - an und verbringen ihren Lebensabend in der wunderschönen Weststeiermark.